(5. November 2022) Kassel. In Vorbereitung auf den Entschlafenen-Gottesdienst haben wir Singles uns zu einer Führung durch den Kasseler Weinbergbunker getroffen. Klasse, dass auch weitere interessierte Geschwister sich aufmachten, um mit uns diese Reise in die Vergangenheit zu erleben.
Es dämmerte gerade, als wir in die feuchtkalte Dunkelheit des Weinberges eintauchten. Nach und nach gewöhnten sich unsere Augen an die diffuse Beleuchtung. Unser begleitender Guide vom Feuerwehrverein vermittelte uns in den nun folgenden zwei Stunden auf unterhaltsame Weise vielfältige und nachdenklich stimmende Informationen.
Schon im 13. Jahrhundert wurde der Weinberg namentlich erwähnt. Tatsächlich wurde Wein angebaut – zumindest der Versuch unternommen. Die klimatischen Bedingungen machten die Bestrebungen, einen respektablen Wein ernten zu können, schnell zunichte. Viel später - im 19. Jahrhundert – waren in Kassel viele Brauereien angesiedelt, die den Weinberg nun als mögliche Lagerstätte für ihr frisch gebrautes Bier entdeckten. Nach und nach wurden Stollen in den Berg getrieben, wo mit einer gleichbleibenden Temperatur von 11 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent gute Lagerungsbedingungen für das Gerstengebräu bestanden. Seine wohl wertvollste Bedeutung bekam der Weinberg aber in den Jahren des zweiten Weltkriegs. Die Anlage wurde nun als Schutzraum für bis zu 10.000 Menschen ausgebaut.
Viele Einwohner des umliegenden Altstadtkerns fanden in den Räumlichkeiten Schutz vor den Bombenangriffen der Alliierten. Neben gedrungenen, hallenähnlichen Gängen, die als Warte- und Schlafräume fungierten, haben wir die kleine Krankenstation, Lüftungsschächte, Notausstiege, die Kommandozentale, Lagerräume und auch die sanitären Anlagen gesehen – wenn man diese unter heutigen Gesichtspunkten überhaupt als solche bezeichnen möchte. Alle Räumlichkeiten sind über niedrige, teils enge und lange Gänge verbunden und bilden ein Labyrinth, wo Orientierung schwerfällt. Unser Guide vom Feuerwehrverein ergänzte unsere persönlichen Eindrücke immer wieder durch Detailwissen aus überlieferten Berichten. Mehrere hallenähnliche Gänge wurden von uns durchlaufen, wo auf kleinstem Raum bis zu 1.800(!) Menschen in einem solchen untergebracht waren. Schmale Betten, auf welchen je acht Erwachsene saßen, oft noch mit Kindern auf dem Schoß, dazu kleines Gepäck und etwas Proviant: Männer, Frauen, Kinder, Alte, Kranke, Schwangere, Behinderte, Traumatisierte. Viele davon in Todesangst, wenn die Bomben fielen, die Erde bebte und jeder seine eigenen Sorgen entwickelte, was gerade oberhalb der 35 Meter starken Gesteinsschicht passierte. Eine bedrückende Atmosphäre, die uns tief berührte...
Am Sonntag dürfen wir wieder einen Gottesdienst für Entschlafene bzw. verstorbene Seelen erleben. Wie viele Seelen sich in der jenseitigen Welt in großer Not und Hoffnungslosigkeit befinden, wissen wir nicht. Aber wir wollen ohne Ansehen der Person und auch dessen, was eine solche Seele als Schuld oder Belastung empfindet oder trägt, für diese beten und sie der Hilfe, Gnade und Liebe Gottes anempfehlen.
Epilog:
NIE WIEDER KRIEG – so haben damalige Überlebende wohl gehofft und wir als Folgegenerationen haben solche fürchterlichen Ereignisse nur noch aus den Überlieferungen der Zeitzeugen erfahren und in unseren Geschichtsbüchern nachlesen können. Aber Friede ist und bleibt ein zerbrechliches Gut – das müssen wir gerade wieder schmerzlich erleben. Es ist bemerkenswert, wie viele von uns mit Geld- und Sachspenden, aber auch tatkräftig anpackend helfen. Danke für jede Zuwendung und Hilfsbereitschaft. Danke aber auch für jedes Gebet für Frieden und für die Bereitschaft zur Vergebung und Versöhnung: Im Kleinen wie im Großen, in der Familie, mit dem Nachbarn, mit dem Nächsten, mit jedermann…
9. November 2022
Text:
Wolfgang Lengemann
Fotos:
Andreas Roll,
Marco Wagner
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